Direkt zum Inhalt
Wettbewerb Archäologisches Landesmuseum Rostock

Ein Sinnbild der Archäologie

Visualisierungen: Lundgaard & Tranberg Arkitekter
Das Museum als selbstverständlicher Teil der Stadtsilhouette

Text: Anne-Sophie Woll
 
Wer an Archäologie denkt, hat ungeahnte Schätze vor Augen, die in sorgfältiger Arbeit häufig direkt aus der Erde freigelegt werden. Es ist die Suche nach Bedeutung, auch wenn etwas auf den ersten Blick bedeutungslos erscheint. Es ist das intensive Hineinversetzen, das eine Verbindung von Ort und Zeit, ebenso wie eine Verbindung von Gegenstand und Bedeutung ermöglicht. Archäologie spannt den Bogen vom kleinsten Detail bis zur großen Weltgeschichte. Dabei umweht sie der Zauber des Entdeckens und ermöglicht das Eintauchen in eine andere Zeit. Das führt zum Kern eines archäologischen Museums. Es muss nicht nur Raum schaffen für Exponate, sondern ebenso für Forschung und Austausch. Es sollte Geschichte lebendig werden lassen können sowie zu Orten und Menschen heutige Bezüge herstellen. Dabei zeigt der gebotene Raum den Stellenwert von Geschichte und Forschung und wird somit im besten Fall zum Identitätsstifter.

Die Ausgangslage

Mecklenburg-Vorpommern fehlt bisher ein eigenständiges archäologisches Landesmuse-um. Was verwunderlich ist, wenn man zum Beispiel an die über 3000 Jahre alten Funde der Ausgrabungsfelder im Tollensetal sowie die Welterbestätten Stralsund und Wismar denkt. Es ist der Beharrlichkeit einer Bürgerinitiative sowie dem Engagement aller Beteiligten zu verdanken, dass ein interdisziplinärer europaweit ausgelobter Realisierungswettbewerb für einen Neubau im Februar 2022 abgeschlossen werden konnte.

Als Standort für die Realisierung des Vorhabens entschied man sich für den Christinenhafen der Hanse- und Universitätsstadt Rostock. Das zeigt, welche Bedeutung diesem Projekt zuteilwird. Hier im Herzen der größten Stadt des Landes soll ein Anziehungspunkt entstehen, der weit über die Landes-grenzen hinausweist und der internationalen Bedeutung der Sammlung gerecht wird. Ursprünglich war geplant, im Anschluss an die nun abgesagte Bundesgartenschau 2025, mit Hilfe des Archäologischen Landesmuseums eine neue Stadtmitte entstehen zu lassen. Der teils brachliegende Hafen sollte unter anderem durch eine Mehrzweckhalle, Kaianlagen und eine neue Brücke zum Gehlsdorfer Ufer wiederbelebt werden.
Entsprechend groß war die Beteiligung am Wettbewerb; letztendlich wurden aus 20 Arbeiten die Sieger gekürt. Das Büro Lundgaard & Tranberg Arkitekter in Zusammenarbeit mit Wuttke & Ringhof Arkitekter aus Kopenhagen überzeugten die Jury rund um die Vorsitzen-de Architektin Jòrunn Ragnarsdòttir (Stuttgart), und erhielt den ersten Platz. Es folgen Nieto Sobejano Arquitectos (Berlin) auf dem zweiten und COBE Kopenhagen auf dem dritten Platz. Überdies wurden drei Anerkennungen vergeben.

Abb. 2: Der Blick aus der Wokrenterstraße | Lundgaard & Tranberg Arkitekter

Visualisierungen: Lundgaard & Tranberg Arkitekter
Der Blick aus der Wokrenterstraße

Der Museumsbau als Vermittler

Das als Landmarke konzipierte monolithische Bauwerk mit über 6.500 m² Bruttogrundfläche fügt sich gleichsam kraftvoll und sensibel in seine Umgebung ein. Es zeigt große geschlossene Wand- und Dachflächen, die durch eine Haut aus Ziegeln zu einem Ganzen verschmelzen. Dabei nimmt die Materialität Bezug auf die umgebene Bebauung der Getreidespeicher und Giebelhäuser, ebenso wie auf die Backsteinarchitektur des Ostseeraumes. Sie schafft eine Lebendigkeit, die der monumentalen Kubatur fehlt. Aus den ruhigen Dachflächen heraus erstrecken sich nach vier Seiten Giebelfelder, die im Osten, Süden und Westen durch große vertikale Fenster die Verbindung in den Stadt- und Landschaftsraum wahren. Dabei verleihen die zurückspringenden Traufkanten im Zusammenspiel mit den überhöhten Dachflächen und Giebeln dem Gebäude einen ganz eigenen Charakter mit großem Wiedererkennungswert. Der Maßstab des Gebäudes vermittelt zwischen den ausgedehnten Wasserflächen einerseits und der Altstadtsilhouette andererseits, ohne sich dabei in den Vordergrund zu drängen. Dabei kann der Museumsbau, der in Materialität und Form dem Element Erde zuzuordnen ist, als Gegenpol zum Wasser verstanden werden. Trotz-dem erlauben höhenmäßig gestaffelte Plateaus im Außenraum einen Übergang von bei-den Elementen und schaffen zusätzliche Aufenthaltsbereiche. Den menschlichen Maß-stab erhält die Kubatur durch die horizontale Gliederung der Ziegelflächen und die Öffnungen im Erdgeschoss.

Das verschlossene, Schutz bietende Äußere zeigt einen klaren Bezug zur Nutzung als archäologisches Museum und fokussiert sich auf die Funktion des Bewahrens. Es gibt sein Inneres nicht preis und lädt den Besucher ein, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen. Im Südwesten zur Plaza hin orientiert liegt der gut auffindbare Haupteingang. Betreten die Besucher und Besucherinnen die Eingangshalle, können sie die gesamte Höhe des Gebäudes erleben. Gleichzeitig umfängt sie durch die dominierenden erdfarbenen rauen Wände sowie die inszenierten Fensteröffnungen, ein höhlenartiger Charakter. Eine skulpturale Wendeltreppe, welche die Ausstellungsbereiche erschließt, unterstreicht diesen Eindruck. Die Ausstellungsfläche erstreckt sich als Raumkontinuum über das gesamte Obergeschoss und bietet Platz für die Wechsel- sowie Dauerausstellungen. Es ist die nach außen völlig abgeschirmte Schatzkammer, die die empfindlichen Exponate nur im Kunstlicht zeigt.

Nach dem Besuch dieses introvertierten Teils des Bauwerks haben die Gäste die Möglichkeit, den Blick wieder in die Stadt- und Landschaft schweifen zu lassen. Dafür betreten sie die umlaufende Dachterrasse. Den Bezug in den Landschaftsraum suchen auch die im Erdgeschoss liegenden Tagungs- und Cafébereiche.
Über horizontale Öffnungen in der Nordfassade erreicht man unabhängig vom Museumsbetrieb zwei Tagungsräume, die einen direkten Blick über die Warnow freigeben. Als verbindendes Element von Eingangshalle und Tagungsbereich liegt an der Nordwestecke des Museums das Café. Es ist der Dreh- und Angelpunkt. Hier verschmelzen durch einen überdachten Cafébereich und eine davor liegende Außenterrasse nicht nur innen und außen, sondern auch interne und externe Nutzungen. Das Café wäre in dieser prominenten Lage schon von der zukünftigen Warnowbrücke aus sichtbar.

Neben der klaren Anordnung der außenwirksamen Nutzungen zeigt sich auch in der Lage von Werkstätten, Lager- und Technikräumen im Erd- und Obergeschoss, dass hier ein Konzept entwickelt wurde, das gerade dem Nutzer einen großen Dienst erweist.

 

Abb. 3: Die monolithische Eingangshalle | Kvant-1 /Lundgaard & Tranberg

Die monolithische Eingangshalle | Kvant-1 /Lundgaard & Tranberg

Die Bedeutung der Archäologie

Dem Siegerentwurf ist es in besonderer Weise gelungen, das Wesen von Archäologie in ein Bauwerk zu übersetzen. Dies unterscheidet ihn im Wesentlichen von den anderen eingereichten Konzepten. Dabei ist es das Spannungsfeld von Form und Funktion, Material und Ort, Beschützen und Zeigen, von Raum und Zeit, von Eigenständigkeit und Ortsbezug feinfühlig ausgelotet. In nordischer Ruhe und Zurückhaltung rückt das Bauwerk die Exponate in den Mittelpunkt und nimmt trotzdem selbstbewusst seinen Platz am Hafen ein. Es wirkt dabei gleichzeitig archaisch und modern. Es stellt Sehgewohnheiten in Frage und schafft ein mutiges Gegengewicht zum von historischen Gebäuden geprägten Image des Bundeslandes. Es ist ein Entwurf, der auf den ersten Blick den einzelnen Menschen klein und unbedeutend wirken lassen kann und in seiner Präsenz von seinem Betrachter verlangt, sich einzulassen. Dabei darf die durch die Bevölkerung im Raum stehende Bezeichnung als „Bunker“ als Ausdruck der Auseinandersetzung mit dem Gebäude und der allmählichen Aneignung durch den Betrachter verstanden werden. Denn ist es nicht viel weniger ein Bunker, sondern eher ein Schrein, der uns daran glauben lässt, dass auch jede noch so unbedeutend wirkende Scherbe einen Platz in der Geschichte hat?

Gleichsam wie bei der Arbeit des Archäologen an seinen Fundorten wird der Besucher berührt und in den Bann gezogen; er wird eingeladen, sich zu vertiefen, sich selbst Gebäude und Exponate zu erschließen. Dabei deutet der Museumsbau über sich selbst hinaus, wie das einzelne Fundstück über seinen Fundort. So wird der Entwurf der Bedeutsamkeit der Sammlung gerecht. Es wird eine Lücke geschlossen, nicht nur am Christinenhafen der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, sondern auch in der Museumslandschaft Mecklenburg-Vorpommerns. Doch erst die gewissenhafte Realisierung wird zeigen, wie es gelingt, den Bogen vom großen Ganzen bis ins kleinste Detail zu spannen. Wie die Brücke geschlagen werden kann, vom „Stein des Anstoßes“ zum Identitätsstifter.


Abb. 4: Das Museum im Gefüge des neu gestalteten Hafens | Visualisierungen: Lundgaard & Tranberg Arkitekter

Weitere Informationen auf der Homepage www.ltarkitekter.dk.

Das Museum im Gefüge des neu gestalteten Hafens | Visualisierungen: Lundgaard & Tranberg Arkitekter