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Bau­kunst­archiv M-V

Foto: Nicole Werner, Baukunstarchiv M-V

„Die Architektur (sprich Baukunst) ist eine Kunst, mit der sich jedermann befassen sollte, weil jedermann mit ihr zu tun hat“ (John Ruskin)

Text: Dr. Eva-Maria Barkhofen, Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für architekturbezogene Kunst

Wir alle befassen uns täglich mit der Architektur, in der wir leben, arbeiten, lernen, Urlaub machen oder sie allein wegen ihrer Schönheit bewundern. Wie die Gebäude entstanden sind, wer hinter den Entwerfern und den Auftraggebern stand und was die Bauten uns mitteilen können, lässt sich meist nicht unmittelbar an ihnen ablesen. Wo also kann man die Geschichten finden, die hinter die Planungskulissen von baukünstlerischen Zeugnissen führen? Was bleibt von Bauprozessen übrig, und was bekommen die Menschen außerhalb eines Architektur- oder Ingenieurbüros nie zu Gesicht? Und was verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff „Architekturarchiv“ oder „Architekturmuseum“? Zeugnisse zur Architektur zu sammeln geht bis in die Zeit des Frühbarock zurück, als man in sogenannten „Kunst- und Wunderkammern“ etwa besonders aufwendige Architekturmodelle bewahrte. Das erste staatliche Architekturmuseum in Deutschland entstand 1842 in der Bauakademie, in der Wohnung von Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) in Berlin, der zugleich der Entwerfer des Baues und oberster Architekt in Preußen gewesen war. Zum Ende des 19. Jahrhunderts richteten die Technischen Universitäten München und Berlin Architektursammlungen ein, die vor allem dem Architektennachwuchs zum Studium dienten. Dann sollte es bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dauern, bis in Deutschland systematisch Zeugnisse zur Architektur gesammelt wurden und in eigens dafür gegründeten Archiven zusammengetragen wurden. Diese schlossen sich 1999 in der heute unter dem Namen agierenden „Föderation deutschsprachiger Architektursammlungen“ zusammen, der derzeit 31 Archive und Museen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz angehören.

Abb. Eingangsbereich des Baukunstarchivs, Campus der Hochschule Wismar

Rettungsturm in Binz/Rügen
Abb. 1/Foto: Eva-Maria Barkhofen, Baukunstarchiv M-V
Matthias Schubert, Entwurf für ein Punkthochhaus
Abb. 2/Foto: Jan Oestreich, Baukunstarchiv M-V
Dietmar Kuntzsch, Kurmuschel Sassnitz
Abb. 4/Foto: Wilfried Dechau, Baukunstarchiv M-V
Karl Both, Raumerweiterungshalle
Abb. 3/Foto: Fotograf unbekannt, Baukunstarchiv M-V
Eingangsbereich des Baukunstarchivs
Abb. 5/Foto: Nicole Werner, Baukunstarchiv M-V

Abbildungen

Abb. 1: Ulrich Müther, Modell des Rettungsturms in Binz/Rügen, um 1975
Abb. 2: Matthias Schubert, Entwurf für ein Punkthochhaus, 1967
Abb. 3: Karl Both, Raumerweiterungshalle, „Aluhalle Variant 1“
Abb. 4: Dietmar Kuntzsch, Kurmuschel Sassnitz
Abb. 5: Eingangsbereich des Baukunstarchivs, Campus der Hochschule Wismar

Ein Baukunstarchiv für Mecklenburg-Vorpommern

Mecklenburg-Vorpommern hat eine reiche Architekturgeschichte zu bewahren, die vor allem in den Bauten im Land zu bewundern ist. In den Museen des Landes, vor allem aber in den Archiven in Schwerin und den Hansestädten, werden Dokumente und Zeichnungen zur Baugeschichte der Regionen bewahrt. Jedoch geschieht dies unter historischen oder künstlerischen Gesichtspunkten, nicht explizit unter baugeschichtlichen Fragestellungen. Mecklenburg gehörte bis jetzt zu den fünf Bundesländern in Deutschland, die noch kein Archiv zur Baugeschichte eingerichtet haben. Auffällig ist, dass in den östlichen Bundesländern nur sehr wenige architekturspezifische Archive existieren, nämlich nur in Erkner (bei Berlin), in Dresden und Weimar. Der Grund dafür liegt vor allem darin, dass private Architekturbüros in der DDR seit Anfang der 1950er Jahre kaum noch existierten und die Arbeit auf Architekten- und Planungskollektive übertragen wurde. Das hatte weitreichende Folgen für die Dokumentation der Projekte, da es Büroarchive praktisch nicht mehr gab. Die Planungskollektive waren weitgehend in volkseigenen Betrieben organisiert. Die wenigen Architekten, von denen es Archive gibt, sind Ausnahmen, so etwa die von Hermann Henselmann, Kurt Liebknecht oder Heinz Graffunder (Akademie der Künste, Berlin), Richard Paulick (Architekturmuseum TU München) oder Josef Kaiser, Egon Hartmann, Hans Schmidt (IRS Erkner) oder das Archiv von Ulrich Müther, das das Baukunstarchiv Mecklenburg-Vorpommern begründet. Die Erhaltung von Baudokumenten ist oft ein Glücksfall, weil die meisten Dokumente im Laufe der Zeit verloren gehen. 2019 trafen sich an der Hochschule Wismar Vertreterinnen und Vertreter der Hochschule und Institutionen, die sich mit dem Bauen und Bewahren befassen. Alle Anwesenden befürworteten die Gründung eines Baukunstarchivs Mecklenburg-Vorpommern auf der Basis des bereits an der Hochschule bewahrten Ulrich Müther-Archiv, um neue Sammlungen auf dem Gebiet der baukulturellen Geschichte und der Zukunft des Landes zu erhalten.

Abb. Magazinraum des Baukunstarchivs, Campus der Hochschule Wismar

Magazinraum des Baukunstarchivs
Foto: Nicole Werner, Baukunstarchiv M-V

Welche Ziele verfolgt das Archiv?

Das Baukunstarchiv hat das Ziel, Werke bedeutender Bauschaffender aus den Bereichen Architektur, Ingenieurbau, Stadtplanung, Landschafts- und Innenarchitektur, mit Bezug zu Mecklenburg-Vorpommern, zu dokumentieren. Durch die Übernahme von Einzelobjekten und Vor- und Nachlässen werden die Materialien gesichert, erschlossen, archivgerecht aufbewahrt und der Forschung und der Öffentlichkeit zur Ver­fügung gestellt. Der Sammlungszeitraum soll vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reichen. Ausgewählte Bestände werden wissenschaftlich erforscht und die Ergebnisse im Rahmen der finanziellen und personellen Möglichkeiten durch Ausstellungen und Publikationen präsentiert. Durch die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten und Kooperationen mit regionalen und überregionalen Einrichtungen möchte das Baukunstarchiv dazu beitragen, Verständnis für die Baukultur in Mecklenburg-Vorpommern zu vermitteln und zu fördern.
Das Baukunstarchiv verfolgt darüber hinaus das Ziel, ein Netzwerk zu knüpfen und damit die Voraus­setzungen für eine archiv- und sammlungsübergreifende Überlieferungsbildung in Mecklenburg-Vorpommern und die Verbindung der Archive zu schaffen.

Abb. Karl Burmeister, Dokumente nach Eingang ins Archiv

Dokumente nach Eingang ins Archiv
Foto: Jan Oestreich, Baukunstarchiv M-V

Vorhandene Archive und Sammlungen

Das insgesamt bereits -über ein Förderprojekt- erschlossene Archiv des Ingenieurs Ulrich Müther (1934-2007) bildet Kern und Ausgangspunkt für das Baukunstarchiv. Das wertvolle Archiv umfasst 270 laufende Meter Akten, über tausend Zeichnungen, Fotografien, 30 Modelle, eine kleine Nachlassbibliothek so­wie Messgeräte für Schalenbauten. Für die Erforschung der Ingenieurbaugeschichte der DDR, vor allem im Bereich des Schalenbaus ist es von großem, historischen und kulturellen Wert. Das Archiv hat sich bereits durch Bundesförderprojekte, internationale Tagungen und Publikationen über die Region hinaus einen Namen gemacht und steht in enger Kooperation mit übergeordneten Facharchivverbänden, Hochschulen und architekturbezogenen Museen.
Inzwischen sind weitere, kleinere Archive und Bestände hinzugekommen. Von dem Landbaumeister Karl Burmeister (1909-1999) sind rund 200 Architekturzeichnungen und Dokumente von der Familie geschenkt worden.
Das Archiv von Professor Matthias Schubert (1928-2021) wurde kurz vor dessen Tod von ihm persönlich der Hochschule geschenkt und umfasst ca. 600 Pläne und 5 Meter Bauakten.
Aus dem Nachlass von Klaus Both (1936-2020), der zusammen mit seinem Vater in den 1960er Jahren die sogenannte Raumerweiterungshalle entwickelt hatte, sind ein  Modell, Fotografien, Dokumente und ein Original der Halle ins Archiv gelangt.  
Der Architekt und Architekturfotograf Wilfried Dechau, 1944 in Lübeck geboren, schenkte dem Archiv eine Reihe von Fotografien zu Bauten Ulrich Müthers und anderer DDR-Architekten, die eine hervorragende Ergänzung des Archivs darstellen.
Der 1962 in St. Petersburg geborene Architekt Sergei Tchoban hat dem Archiv sieben meisterliche Handzeichnungen mit dem Bezug zum Ostseeraum geschenkt. Er führt nicht nur Architekturbüros in Berlin und Moskau, sondern hat selbst mit der „Tchoban Foundation“ ein Museum speziell für Architekturzeichnung in Berlin gegründet.

Abb. Aquarellierte Zeichnungen von Sergei Tchoban im Archiv

 

Zeichnungen von Sergei Tchoban
Foto: Baukunstarchiv M-V

Wo befindet sich das Archiv und wer sind die Akteure?

2020 wurde ein voll ausgestatteter und klimatisierter Archivraum mit Nutzerarbeitsplatz in das bestehende Gebäude der Fakultät Gestaltung auf dem Campus der Hochschule Wismar mit Mitteln des Landes und der Hochschule eingerichtet. Hier können Interessierte, nach Anmeldung, forschen oder sich über das Archiv informieren. Die Leitung hat Prof. Matthias Ludwig, Lehrender an der Fakultät für Gestaltung. Ihm steht, ehrenamtlich, für inhaltliche und archivrele­vante Belange, die ehemalige Leiterin des Baukunstarchivs der Akademie der Künste und öffentlich bestellte Sachverständige für architekturbezogene Kunst und Archivobjekte, Dr. Eva-Maria Barkh­ofen, zur Seite. Der Historiker, Jan Oestreich, betreut das Archiv, erschließt es archivarisch und steht als  Ansprechpartner für Fragen zur Verfügung.
Über Neuzugänge von besonderen, für das Land Mecklenburg-Vorpommern bedeutenden Dokumenten zur Baugeschichte, würde sich das Archiv sehr freuen.

Kontakt:

- Prof. Matthias Ludwig matthias.ludwig@hs-wismar.de
- Dr. Eva-Maria Barkhofen info@baukunstarchive-bewerten.de